Die Schweizer Kernkraftwerke werden stillgelegt, aber ihre hochaktiven Abfälle überdauern bis zu eine Million Jahre. Was soll man damit machen? Antworten von Olivier Leupin von der Nagra, der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle.
Was geschieht mit stillgelegten Kernkraftwerken?
Ein Kernkraftwerk besteht aus ganz unterschiedlichen Elementen. Je weiter man sich vom Reaktorkern entfernt, desto schwächer wird die Radioaktivität. Bei der Stilllegung des Kernkraftwerks Mühleberg zum Beispiel schätzt man, dass 92 Prozent des Gesamtvolumens nichtradioaktiver Bauschutt sein wird, der auf konventionellem Weg entsorgt werden kann. Von den verbleibenden 8 Prozent können 6 Prozent behandelt oder gelagert werden, bis die Strahlung soweit abgenommen hat, dass die Freigabeschwelle erreicht ist. Vom ursprünglichen Volumen bleiben somit 2 Prozent radioaktive Abfälle, die konditioniert werden müssen.
Welche Lösung sieht die Schweiz für die Lagerung von radioaktiven Abfällen vor?
Die geologische Tiefenlagerung. Dieses Verfahren ist international nach aktuellem Wissensstand als das sicherste anerkannt. Die Lagerung von Abfällen an der Oberfläche bringt Unsicherheiten mit sich, wenn man an gesellschaftliche und klimatische Entwicklungen denkt. In Europa gab es beispielsweise keine Friedensperiode, die länger als ein Jahrhundert andauerte. Die Stabilität bestimmter Gesteinssorten über eine Million Jahre hinweg können wir hingegen aufgrund unserer geologischen Kenntnisse als realistisch betrachten.
Radioaktive Abfälle verlieren nach und nach an Radioaktivität, was sich mit dem Konzept der «Halbwertszeit» berechnen lässt. Können Sie dieses erläutern?
Radioaktivität ist ein natürliches Phänomen, das im Kern bestimmter Isotope – Atomarten – entsteht. Die Halbwertszeit sagt aus, wie lange es dauert, bis die Hälfte der Kerne eines Isotops zerfallen ist. Je nach Art des Isotops kann sie von Sekundenbruchteilen bis zu mehreren Tausend Jahren lang sein.
Wann werden die Abfälle eingelagert?
Dieser Prozess dauert mehrere Generationen. Der endgültige Standort wird 2022 bestimmt und das Projekt muss vom Parlament abgesegnet sowie dem fakultativen Referendum unterstellt werden. Dann folgen geologische Forschungsarbeiten und Tests, die mehrere Jahre dauern. Die Einlagerung der Abfälle wird etwa 2060 beginnen. Ungefähr zwei Generationen später werden alle unterirdischen Installationen aufgeschüttet.
Wie organisiert man ein so langfristiges Projekt?
Die grosse Herausforderung bei diesem Projekt ist der Zeitaspekt! Wie werden alle Informationen an die künftigen Generationen weitergegeben? Werden sie die Abfälle vergessen? Wie kennzeichnet man die Abfälle? Einige Fragen sind philosophischer Natur. Unser Konzept besteht darin, dass die Abfälle an ihrem Endlagerort schwer zugänglich sind, damit künftige Generationen ohne das nötige technische Wissen nicht an sie herankommen.
Eine Million Jahre ... Bewegen wir uns da nicht im Reich der Fiktion?
Diese Zeitspanne erscheint nach menschlichen Massstäben sehr lange, nach geologischen Massstäben jedoch sehr kurz. Die Abfälle an der Erdoberfläche zu lagern, würde bedeuten, der Gesellschaft statt der Geologie die Rolle des Aufpassers zu übertragen. Möchte man die Entwicklung der Menschheit in einer Million Jahre voraussagen, dann ist das tatsächlich reine Fiktion.
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