Fiktionen mit Schockwirkung

Ein gewagter Blick in die ferne Zukunft: Energie setzt keine Grenzen mehr. Zum Potenzial der Sonne wird mit grosser Wahrscheinlichkeit die Kernfusion dazukommen. Dafür tauchen andere Wachstumsgrenzen auf und aus der Science-Fiction-Literatur ist die Vorstellung verschwunden, dass Technologie Neues schaffen kann.

«Die freie Verfügbarkeit von Energie ist in vielen Science-Fiction-Welten eine Selbstverständlichkeit und bestimmt selten die Handlung», hält Philipp Theisohn fest. Er erforscht an der Universität Zürich die literarischen Vorstellungen eines bewohnten Weltalls.

Die Science-Fiction-Literatur spiegelt damit eine Gewichtsverschiebung, die sich in den letzten Jahrzehnten auch in den wissenschaftlichen Prognosen vollzogen hat. Auch diese sehen in der Energie keine prinzipielle Wachstumsgrenze mehr. Allein die Sonne liefert pro Jahr rund 1,5×1018 kWh auf unseren Planeten. Das ist etwa 10 000-mal mehr, als wir zurzeit pro Jahr verbrauchen. Dazu wird sich mit grösster Wahrscheinlichkeit bis zum Ende dieses Jahrhunderts das Potenzial der Kernfusion addieren. Die Umsetzung von einem einzigen Kilogramm Deuterium-Tritium-Gemisch kann eine thermische Energie von 108 kWh freisetzen – die Energie von rund 10 Millionen Litern Heizöl!

Ökologie und Demografie statt Energie

Die aus heutiger Sicht praktisch unerschöpflichen Energiequellen bedeuten aber nicht, dass sich die literarischen und wissenschaftlichen Fiktionen in Richtung endloses Wachstum entwickeln. Ökologie und Demografie haben ganz einfach die Energie als Wachstumsgrenzen abgelöst. Die optimistischen Weltraum- Kolonie-Szenarien der 1950er-Jahre sind mit der Zeit in dystopische Zukunftsvorstellungen gekippt, in denen die Menschen in einem von Knappheit beherrschten technischen Morast um ihr Überleben kämpfen, wie Theisohn ausführt.

Damit wird auch klar, dass Science- Fiction wie jede unserer Zukunftsvorstellungen immer die Gegenwart spiegelt.

In einem wichtigen Punkt unterscheidet sich laut Theisohn die literarische Auseinandersetzung mit der Zukunft aber grundlegend von der wissenschaftlichen Futurologie. Während Letztere immer an die Zeit gebunden ist und mit ihren Modellberechnungen im Wesentlichen die Gegenwart extrapoliert, imaginiert Science-Fiction bewusst disruptiv. Sie schafft in der Regel ein Novum und damit einen Schock. Aus diesem heraus kann sie dann reflektieren, was von unserer heutigen Gesellschaft in einer anderen Version der Welt noch übrig bleiben würde.

Von Futuristen und Akzeleristen

Auf diese Weise ist mit der Zeit beispielsweise aus den Fiktionen auch die Vorstellung verschwunden, dass Technologie an sich in der Lage ist, Neues zu schaffen, wie Theisohn erklärt. Diese von den eingesetzten Techniken unabhängige, fundamentale Kontinuität in der Entwicklung unserer Gesellschaft zeigt sich unter anderem auch in einer auffälligen Parallele von heute zu den 1910er- und 1920er-Jahren, als Energie noch die treibende Zukunftskraft darstellte. So, wie die damaligen «Avantgarden» von den mit dem Faschismus verbandelten italienischen Futuristen bis zum sowjetischen Suprematismus und Kosmismus Geschwindigkeit und Kraft zelebrierten, feiern auch heute wieder die politischen Extreme die Beschleunigung. Anstelle der Energie sind für linke Akzeleristen und alternative Rechte die Informationen und die Digitalisierung zum Kraftstoff geworden, der die bestehenden Strukturen zum Einsturz bringen soll.

Energie zeigt abnehmende Wirkung

Die Erfahrung zeigt allerdings, dass mehr Energieeinsatz nicht automatisch auch eine grössere Wirkung bedeutet. Der Philosoph und Theologe Ivan Illich hat dieses Paradoxon bereits in den 1970er-Jahren eindrücklich illustriert: Wird der gesamte Zeitaufwand miteinberechnet, der investiert werden muss, um das Geld für ein Auto zu verdienen, sinkt die Geschwindigkeit, mit der ein Motorfahrzeug seinen Besitzer vorwärtsbringt, auf durchschnittlich nur noch fünf Stundenkilometer und damit auf Schritttempo. Auch Theisohn hat dazu im Rahmen früherer Studien ein sinnbildliches Detail herausgearbeitet: Die Beschleunigungsenthusiasten aus den 10er- und 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts hatten gar nie eine langfristige Vision davon entwickelt, wohin die Macht der Energie die menschliche Gesellschaft überhaupt führen sollte.

DIE SONNE AUF DIE ERDE HOLEN

An Fusionsreaktoren wird schon mehr als 60 Jahre geforscht. Jetzt scheinen die Aktivitäten aber tatsächlich auf die Zielgerade einzubiegen. 2035 soll der sogenannte ITER-Reaktor in Frankreich erstmals für einige hundert Sekunden Fusionsenergie in einer Grössenordnung von 500 Megawatt erzeugen. Er wird dafür die Kerne der beiden schweren Wasserstoffvarianten Deuterium und Tritium miteinander verschmelzen. Diese Reaktion verlangt weniger extreme Druckverhältnisse als die Fusion von zwei «normalen» Wasserstoffatomkernen, wie sie im Innern unserer Sonne stattfindet. Bis die Technologie in kommerziellen Kraftwerken eingesetzt werden kann, dürfte es mindestens 2050 werden. Dann aber verspricht sie Energie im Überfluss. Trotzdem ist die Frage offen, ob sich der Aufwand unter dem Strich rechnen wird.

DER WIDERSTAND VERSCHWINDET

Reibungsfrei gelagerte Räder und verlustfreie Stromspeicher – Supraleiter sind Wundermaterialien, die bisher allerdings mit einem grossen Nachteil behaftet sind: Damit der elektrische Widerstand auf Null abfällt und sie somit supraleitend werden, müssen sie auf extrem tiefe Temperaturen abgekühlt werden. Die höchste sogenannte Sprungtemperatur für einen festen Werkstoff liegt derzeit bei –135 °C. Gesucht sind darum Materialien, die den Strom bereits unter normalen Umgebungsverhältnissen verlustfrei transportieren können. Theoretisch spricht nichts gegen ihre Existenz und für wenige Pikosekunden konnte der Effekt auch schon beobachtet werden.

SHOWSTOPPER SELTENE ELEMENTE

Die aus heutiger Sicht praktisch unerschöpflichen Energiequellen bedeuten nicht, dass automatisch alles möglich sein wird. Praktisch jede Technologie zur Energieerzeugung ist von speziellen Materialien abhängig, deren Vorkommen auf der Erde begrenzt ist. So benötigt etwa die Kernfusion ein bestimmtes Lithium-Isotop, um das fusionsfähige Wasserstoff-Isotop Tritium erzeugen zu können. Photovoltaik, Batterien und auch Windkraft hängen wie alle modernen Elektronikkomponenten von der Verfügbarkeit seltener Metalle wie Tantal, Indium und auch Lithium ab. Neigen sich deren Reserven dem Ende zu, droht den meisten dieser Zukunftstechnologien das Aus – falls keine Alternativen gefunden werden.


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