Im Abfall lesen Archäologen Geschichten über Lebensstil und Konsum unserer Vorfahren. Etwa, dass die Bewohner der Schweizer Seeufersiedlungen vor 5 000 Jahren Ackerbau betrie­ben und Rinder, Ziegen, Schafe und Schweine hielten und assen. Dass sie aber auch geschickte Jäger waren und Hirsch, Fisch, Vogel, Eichhörnchen und Igel in ihren tönernen Koch­ töpfen landeten. Dass hierzulande zur Zeit der Römer Eisen geschmiedet und Buntglas zu Parfümfläschchen und weiteren Gefässen geblasen wurde, dass unsere Ahnen damals neben lokalen Produkten auch Wein, Olivenöl und Fischsauce aus dem Mittelmeerraum konsumierten – hierher transportiert in Am­phoren, die dann als Einwegverpackungen im Abfall landeten.

Auch in heutige Konsummuster erlaubt der Abfall intime Einblicke. Besonders eindrücklich zeigten dies Forschende der US-­amerikanischen University of Arizona. Sie begründeten mit ihrem «Garbage Project» die Disziplin der Müllarchäologie: Seit den frühen 1970er ­Jahren analysierten sie den Kehricht von Tausenden von Haushalten, in den 1980er ­Jahren bohrten sie zudem in die Tiefen von Mülldeponien, 1992 erzählten sie im Buch «Rubbish: The Archaeology of Garbage» die Ge­schichten, die sie dem Müll entlockt hatten. Etwa, dass Leute in Befragungen ihren Konsum an Süssigkeiten, Chips und Alkohol zu tief, denjenigen für Früchte und Diätgetränke zu hoch einschätzten. Dass in Perioden, in denen Rindfleisch und Zucker in den Läden knapp wurden, plötzlich mehr davon im Abfall landete – wohl wegen Hamsterkäufen oder weil die Leute Stücke vom Rind kauften, von denen sie nicht wussten, wie man sie zubereitet. Oder dass viel geschimpfte Müllkategorien wie Fastfood­-Verpackungen, Plastikflaschen und Windeln zusammengenommen gerade mal 3 Prozent des deponierten Abfalls ausmachten – Papier hingegen gut 40 Prozent.

Forschende der ETH Zürich und der Fachhochschule Nordwestschweiz widmen sich einem weiteren Aspekt des Abfalls: der Energie, die darin steckt. «Die Abfallwirtschaft kann einen nachhaltigen Beitrag zur Energiewende leisten», sagt Projektkoordinator Grégoire Meylan. «Wir möchten aufzeigen, wo die grössten Optimierungspotenziale liegen.» Dazu haben die Forschenden sämtliche Abfall­- und Recyclings­tröme detailliert erfasst. Was keine einfache Aufgabe war, wenn man bedenkt, dass der Karton von Paketen, die wir über Online­ Versandhändler im Ausland bestellen, in nationalen Konsumstatistiken genauso wenig auftaucht wie das Glas von Bierflaschen, die Grenzgänger in Deutschland einkaufen.

Erste vorläufige Berechnungen zeigen, dass in den 21 Millionen Tonnen Abfall, die in der Schweiz im Jahr 2012 anfielen, theoretisch ein Heizwert von 120 000 Terajoule steckt – das entspricht rund der Hälfte des Endverbrauchs an Energie aller Schweizer Haushalte. «Würden wir nur die direkte Energie betrachten, läge der Schluss nahe, dass wir am besten sämt­liche Abfälle verbrennen, um daraus Strom und Wärme zu gewinnen», sagt Umweltingenieurin Melanie Haupt von der ETH Zürich. «Das wäre aber ein fataler Kurzschluss. Denn dank Recycling können wir indirekt sehr viel Energie sparen, weil wir weniger Material aus Primärressourcen herstellen müssen.» So ermöglichten die 3 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle, die 2012 rezykliert wurden, indirekte Energieeinsparungen in Höhe von etwa 30 000 Terajoule, die vervielfacht werden können, wenn das Material mehrmals wiederverwendet wird. Der Heizwert des Materials belief sich auf 28 000 Terajoule.

Grosses Potenzial liegt im Recycling von Papier, Karton und Glas sowie in der besseren Verwertung biogener Abfälle. Da das ganze System komplex ist und sehr unterschiedliche Interessen im Spiel sind, wird es aber letztlich auch eine politi­sche Frage sein, wie wir künftig mit unserem Abfall umgehen werden. Fest steht: Unsere Entscheidungen werden Spuren für künftige Generationen von Archäologen hinterlassen.