«Veränderung hat keine Anhänger, Menschen hängen am Status quo», sagte einst die US-amerikanische Managerlegende Jack Welch. Die Alltagserfahrung zeigt, dass Welch damit nicht danebenlag. Wie sonst ist es zu erklären, dass über 90 ­Prozent der Versicherten ihrer Krankenkasse treu bleiben, obwohl gleichzeitig 87 Prozent nicht davon ausgehen, bereits die für sie beste Lösung gefunden zu ­haben? Auch viele Forschungsresultate im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 71 belegen eine gewisse Trägheit, wenn es um Veränderungen geht. Andererseits: Der Mensch liebt es offensichtlich, Grenzen zu verschieben und Neues zu wagen. Sonst hätte er kaum den Mond betreten und sich ständig neues Wissen angeeignet.

Der Mensch, das selbstbestimmte Wesen

Was ist er denn nun, der Mensch: ein dem Neuen aufgeschlossener neugieriger ­Forschergeist – oder ein Gewohnheitstier, das jeder Veränderung skeptisch gegenübersteht? Die Frage geht an Volker Kiel. Der Professor am Zentrum Leadership, Coaching & Change Management der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, berät Organisationen in Veränderungsprozessen. Man könne den Menschen pauschal wohl weder der einen noch der anderen Schublade zuordnen, meint der Experte. «In erster Linie ist der Mensch ein autonomes, selbstbestimmtes Wesen, getrieben von Bedürfnissen. Und ein ganz wichtiges Bedürfnis ist jenes nach Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung.» Man richte sich so ein, dass es einem möglichst leichtfalle, sich zu verwirklichen. «Und dann können Veränderungen als störend empfunden werden: Man fühlt sich fremdbestimmt.» 

Gründe müssen einleuchten

Daraus lässt sich schliessen: Veränderung muss von denen, welche die Konse­quenzen spüren, mitgetragen werden – von aussen aufgezwungenes Neues stösst auf Widerstand. «Man muss die Sinnhaftigkeit der Veränderung auf­zeigen», weiss Volker Kiel. «Es muss klar werden: Was bedeutet es langfristig für dich persönlich, wenn wir am Status quo festhalten?» Der Professor zitiert in diesem Zusammenhang Friedrich ­Nietzsche: «Wer ein Warum hat, erträgt fast jedes Wie.» Oder anders gesagt: Wer den Grund für Veränderungen erkennt, wird den Weg der Veränderung gehen, auch wenn dieser steinig ist. Spass machen müsse Veränderung nicht, findet Kiel, im Gegenteil: «In der US-amerikanischen Literatur findet man immer wieder den Rat, man müsse Menschen für Veränderung begeistern. Aber Spass kann nicht das Ziel sein. Die Menschen müssen sich für Veränderung öffnen, und sie sollen sich damit auseinandersetzen. Freude kann die Ernsthaftigkeit dieser Auseinandersetzung gar beeinträchtigen – und anfängliche Euphorie kann schnell in Enttäuschung umschlagen.»

Ein Preisschild gehört dazu

Was bedeutet das nun für die Transformation des Energiesystems – und damit für einen der grössten Veränderungs­prozesse, vor denen die Gesellschaft gegenwärtig steht? Volker Kiel: «Es braucht Zahlen und Fakten. Fachleute müssen aufzeigen, warum diese Transformation unabdingbar ist und welche Folgen es hätte, den bisherigen Weg weiterzugehen.» Die Menschen müssten an allen Entscheidungen beteiligt werden. Die Schweiz habe da einen Vorteil: «Das ist ja eine urschweizerische Eigenheit: alle in die Entscheidungsprozesse ­einzubinden. Ich bin daher optimistisch. Wenn es gelingt, die Menschen auf der Vernunftebene abzuholen, wird auch die Transformation des Energiesystems ­gelingen.» Doch noch fehle es an konkreten Visionen, findet Volker Kiel: «Wir brauchen klare Bilder davon, wie die Zukunft aussehen soll. Die Probleme sind den Menschen mehr und mehr bewusst, aber es ist wichtig, zu wissen, wo die ­Reise hingehen soll.» Dabei sei es gar nicht nötig, ein rosarotes Zukunftsbild zu malen. «Man darf aufzeigen, dass die Veränderung anspruchsvoll ist. Jede Veränderung hat ihren Preis – aber ein ­vernünftiger Mensch, der die Gründe für die Veränderung kennt und sie ­dadurch selbstbestimmt mitträgt, wird bereit sein, ihn zu zahlen.»