Was als Ingenieurleistung begann, weckt Hoffnungen auf eine nachhaltige Mobilitätsvision. Die Eroberung des Untergrunds wird zum Baustein eines vernetzten und klimafreundlichen Verkehrs- und Transportsystems.
Der erste Strassentunnel der Schweiz ist 64 Meter lang und wurde Anfang des 18. Jahrhunderts am St. Gotthard durchbohrt. Dieser Ingenieureffort hatte die Passage durch die wilde Schöllenenschlucht sicherer gemacht. Inzwischen verbinden noch bequemere Wege den Norden mit dem Süden; einige führen sogar ganz durch den Untergrund. Sowohl der Strassenverkehr als auch die Eisenbahn profitieren von einer leistungsfähigen unterirdischen Transitinfrastruktur. Das jüngste Bauwerk auf der Nord-Süd-Achse, der 57 Kilometer lange Gotthard-Basistunnel, verbessert aber auch die Umweltbilanz: Gemäss Ecotransit-Rechner braucht es nur halb so viel Energie, um Güter statt im Camion mit dem Zug von Basel nach Chiasso zu transportieren. Und weil der inländische Bahnverkehr mehrheitlich Wasserstrom bezieht, fällt die Treibhausgasbilanz mit 1:10 noch deutlicher zugunsten der Schiene aus.
Raumgewinn an der Oberfläche
Auch die übrigen Regionen der Schweiz sind mittlerweile durch viele Tunnels und Röhren miteinander verbunden. Die Weglängen im nationalen Eisenbahn- und Autostrassennetz haben sich trotz natürlicher Hindernisse, einer dichten Landnutzung und geschützter Landschaften dadurch bedeutend verkürzt. Wie eine Studie des Instituts für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT) der ETH Zürich veranschaulicht, sind die Fahrzeiten zwischen den meisten Orten in der Schweiz wesentlich geschrumpft. Das Potenzial für weitere Verbesserungen scheint allerdings beschränkt. «Ohne Digitalisierung der Verkehrsströme lässt sich die Effizienz bestehender Systeme kaum steigern», ist Martin Bütikofer, Direktor im Verkehrshaus Schweiz, überzeugt. Ansonsten biete nur der Untergrund zusätzliche Kapazitäten für ein Transportwachstum.
Ist eine verstärkte Verlagerung des Verkehrs in die Tiefe also ein nächstes Puzzleteil für die nachhaltige Mobilität? Wer sich derzeit Gedanken über eine haushälterische Raumentwicklung macht, bejaht diese Frage: Städte und Agglomerationen müssen mehr Platz innerhalb der bebauten Fläche gewinnen. Die Verkehrszukunft liegt unter der Erde; ein systematisches Abtauchen in geologische Sphären wird unvermeidbar.
CO2-freie Mobilitätssysteme
Aber wie soll man sich künftig durch den Untergrund bewegen? Aktuelle Technologiekonzepte sehen primär automatisierte, CO2-freie Transportmittel vor. Das private Konsortium Cargo Sous Terrain möchte Güter unter Tage auf unbemannten Fahrzeugen durch die Schweiz verkehren lassen. Derweil erhält das ETH-Forscherteam Swissloop internationale Beachtung für ein Vehikel, das den Personen- und Warentransport durch unterirdische Vakuumröhren ermöglichen soll. Ob der Mensch seine Reisezeit vornehmlich im Dunkeln verbringen will, ist eine offene Frage. Wirtschaftlich und ökologisch spricht aber vieles dafür, das wachsende Verkehrsaufkommen verstärkt unter der Erde abzuwickeln. Gemäss Antonia Cornaro, Mitglied von Thinking Deep, einem internationalen Netzwerk aus Städteplanern und Ingenieuren, verbessern sich so die Zuverlässigkeit der Verkehrssysteme sowie die Entwicklungsperspektiven von Ballungszentren. Die Landschaft dazwischen würde ausserdem entlastet.
Miteinander verknüpfen
Sinn machen zusätzliche Wege durch den Untergrund aber nur, wenn sie an die Verkehrsinfrastruktur an der Oberfläche angeschlossen sind. Die Anforderungen und das Funktionsprinzip eines derart vernetzten Transport- und Logistiksystems untersucht das Forschungsprojekt «Intelligente urbane Logistik». Denn damit die Städte klima- und menschenfreundlicher als heute versorgt werden können, sind bestehende und künftige Mobilitätslösungen unter, auf und über dem Boden nahtlos miteinander zu verknüpfen.
Was vor drei Jahrhunderten mit dem Tunnelbau begann, hat kaum absehbare Wege genommen. Und auch das, was unter dem Gotthardmassiv seither entstand, ist von überraschendem Nutzen: Ein Stollen, der für den Bau des Basistunnels erforderlich war, dient nun als Labor für unterirdische Druckluftspeicher. Im Verbundprojekt «Stromspeicherung über adiabatische Luftkompression» wird erforscht, wie der Wirkungsgrad dieses Verfahrens erhöht werden kann.
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