Das Wachstum hängt den Fortschritt ab

Fliegen ist heute ein Massenphänomen. Mit den steigenden Passagierzahlen wurde nicht nur die Romantik durch industrialisierte Prozesse verdrängt. Auch beim Energieverbrauch kann der technische Fortschritt nicht mehr mit dem Volumenwachstum mithalten.

Für Leonardo Manfriani war es ein prägendes Kindheitserlebnis: Als sein Vater in den 1960er-Jahren von einer Geschäftsreise zurückkehrte, konnte er ihm auf dem Flugfeld in Turin um den Hals fallen. Seither hat sich viel verändert. Nicht nur ist Manfriani inzwischen Professor für Aerodynamik und Luftfahrtsysteme an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Auch die Fliegerei hat sich grundlegend gewandelt. Auf dem offenen Flugfeld werden heute nur noch hohe Staatsgäste oder zurückkehrende Sporthelden begrüsst.

Industrialisierte Prozesse statt grenzenloser Freiheit
Die Otto Normalverbrauchenden kommen durch Röhren aus einer Röhre, wie Benedikt Meyer die Realität der modernen Massenfliegerei bildhaft beschreibt. Er hat als Historiker den Wandel der ehemaligen nationalen Fluggesellschaft Swissair und ihrer Passagiere aufgearbeitet. Aus der romantisch verklärten grenzenlosen Freiheit, wie sie der deutsche Liedermacher Reinhard Mey besungen hatte, ist ein industrialisierter Abfertigungsprozess geworden. Festmachen lässt sich diese Veränderung unter anderem auch an den Emotionen, mit denen die Fluggesellschaften für ihre Dienstleistungen werben.
Standen in den 1960er-Jahren noch die Jets und ihre Technik im Vordergrund, zeigten die Plakate in den 1970ern Bilder der exotischen Landschaften, die per Flugzeug erreicht werden konnten, wie Meyer ausführt. Aus einem Objekt der Faszination wurde ein Mittel zum Zweck. Zwanzig Jahre später, mit Aufkommen der Billigflieger, drehte sich die Werbung nur noch um den Preis, und heute verkaufen die Gesellschaften City-Hopping-Lifestyle.

Rauchfahnen als einziges Umweltthema
Die Ökologie war in der Kommunikation nur einmal ein Thema, wie Meyer festhält. Anfang der 1970er-Jahre sah die Swissair die Umstellung ihrer Flotte auf Triebwerke, die keine schwarzen Rauchfahnen mehr hinter sich herzogen, als aktiven Beitrag zum Umweltschutz.

Für Manfriani ist es wenig verwunderlich, dass die Nachhaltigkeit seither kaum mehr thematisiert wird. Zwar konnte der Energieverbrauch der Jets seit den 1950er-Jahren um rund den Faktor vier auf etwa 25 g Kerosin pro Passagiersitz und Kilometer gesenkt werden. Zuvor war der Verbrauch aber durch die Umstellung von Kolbenmotoren auf Düsentriebwerke um fast das gleiche Verhältnis in die Höhe geschossen. Der Hauptgrund lag in der fast doppelt so hohen Reisegeschwindigkeit, die den Luftwiderstand ansteigen liess.


Im Durchschnitt rechnet man heute mit 25 g Kerosinverbrauch pro Passagiersitz und Kilometer.

Eine Geschwindigkeitsdrosselung von 800 auf 600 km/h würde grosse Einsparungen im Energieverbrauch bringen.



Geschwindigkeit drosseln und Tankstopps
Weil für die Geschwindigkeit ein hoher Energiepreis bezahlt werden muss, wäre für Manfriani heute wieder eine Reduzierung angezeigt. Auf Kurzund Mittelstrecken würde eine Drosselung von 800 auf 600 km/h viel bringen. Im Langstreckenbereich könnte der Verbrauch zudem durch kleinere Flugzeuge, die Zwischenstopps zum Auftanken einlegen, gesenkt werden. Heute werden nämlich rund 30 Prozent des Kerosins dafür gebraucht, das Gewicht des Treibstoffs durch die Luft zu fliegen. Ein anderes Szenario hat Manfriani im Rahmen eines Forschungsprojekts durchgerechnet. Luftbetankungen könnten demnach den Spritverbrauch auf Langstrecken um rund 20 Prozent vermindern.

Wenig Potenzial und alte Forderung
Auf der technischen Seite rechnet Manfriani in den nächsten 30 Jahren mit Effizienzsteigerungen von etwa 30 Prozent. So lässt sich durch hybride Gas-Elektro-Turbinen die Grundmotorisierung verringern, indem beim Start ein Elektromotor für den nötigen Zusatzschub sorgt.

Mit der erwarteten Verdoppelung der Passagierzahlen innerhalb der nächsten 20 Jahre werden die Effizienzsteigerungen allerdings sowieso nicht mithalten können. Für den Historiker Meyer deutet nichts darauf hin, dass dieses Wachstum ohne Eingriffe von aussen abnimmt. Interessanterweise ist die Forderung, das Fliegen auf diejenigen zu beschränken, die es wirklich nötig hätten, auch schon fast so alt wie die Massenfliegerei selbst. Der ehemalige Swissair-Direktor Walter Berchtold hat bereits 1981 entsprechende Beschränkungen zur Diskussion gestellt.


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