Nach Ansicht von Oliver Gassmann, Professor für Innovations- und Technologiemanagement an der Universität St. Gallen, ist die Dezentralisierung der Energieerzeugung mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Mit neuen Technologien und Geschäftsmodellen werden sich diese jedoch meistern lassen.
Worin bestehen die grössten Herausforderungen im Hinblick auf die Dezentralisierung der Energieerzeugung?
Für die meisten Energieversorger stellt die Dezentralisierung der Energieversorgung eine grosse Herausforderung dar. Prosumer neigen dazu, sich zunehmend autark zu versorgen. Dies schränkt die Vorhersehbarkeit des Marktes ein. Die grösste Schwierigkeit besteht darin, alle Seiten zufriedenzustellen. Denn in der Tat haben die beteiligten Akteure voneinander abweichende Interessen und zeitliche Vorstellungen. Dies macht jede gemeinschaftliche Entscheidung schwierig. Ich persönlich betrachte aber jedes Problem wie ein Unternehmen, das noch nicht gegründet wurde. Es werden sich also auch hier neue Geschäftsmodelle entwickeln, insbesondere in den Bereichen Netzmanagement und virtuelle Kraftwerke.
Werden diese Modelle rentabel sein?
Es gibt viele Möglichkeiten, Finanzierungs- und Leistungsmodelle zu konzipieren. Ich denke, dass sich hier vor allem regionale Plattformen und Nachbarschaftsgemeinschaften durchsetzen werden. Die Zukunft gehört vielmehr gemeinschaftlichen Unternehmen als Einzelunternehmen. Langfristig glaube ich an die Kraft der Märkte, insbesondere dann, wenn die neuen Technologien noch effizienter und kostengünstiger werden.
Welche Rolle werden Technologien wie Blockchain und das Internet der Dinge spielen?
Mit der Blockchain-Technologie wird es künftig möglich sein, Netze aufzubauen, in denen Haushalte und Unternehmen dezentral Energie erzeugen und konsumieren. Die wichtigste Technologie der Zukunft ist jedoch das Internet der Dinge. Über diese Technologie werden alle Objekte miteinander verbunden, von der Klimaanlage über die Waschmaschine bis hin zur Strassenbeleuchtung. Intelligente Sensoren werden die Umgebung kontinuierlich überwachen, und dank Algorithmen des maschinellen Lernens werden die entsprechenden Produkte immer weiter optimiert. All dies wird die Effizienz des Netzes weiter erhöhen: Die Prozesse werden sich selbst regulieren, ohne jeglichen menschlichen Eingriff.
Wie kann die Schweiz ihren Rückstand in puncto Dezentralisierung im Vergleich zu Ländern wie Dänemark oder Deutschland aufholen?
Das grösste Hindernis hierbei besteht in der mangelnden politischen Flexibilität. Die Schweiz verfügt jedoch über zahlreiche neue Technologien und innovative Unternehmen. Meiner Ansicht nach wird die Schweiz diesen Rückstand in dem Mass aufholen, in dem diese Technologien an Attraktivität gewinnen. Langfristig erlaubt die Dezentralisierung einen niedrigeren Verbrauch, niedrigere Kosten und eine erhöhte Flexibilität. Die wichtigste Kraft hinter dieser Entwicklung bleibt dabei Innovation – und zwar nicht nur im Hinblick auf Technologien, sondern auch in Bezug auf Geschäfts und Gesellschaftsmodelle.
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