Die steigende Produktion erneuerbarer Energien bringt neue Organisationsmodelle mit sich, etwa Energiegenossenschaften. Ein stark regulierter Strommarkt und politische Unsicherheiten bremsen diese Entwicklung aktuell noch.
Sonnengereifte Tomaten aus dem eigenen Garten zu geniessen, ist doch viel besser, als sie im Supermarkt zu kaufen. Warum sollte das bei Energie anders sein? Energie mag zwar nicht so köstlich schmecken wie Tomaten, für unseren Alltag ist sie jedoch von enormer Bedeutung. Viele Schweizer pflanzen inzwischen ihre eigenen Tomaten an, greifen beim Heizen aber noch immer auf nicht erneuerbare Energiequellen, fossile Brennstoffe oder Kernenergie, zurück.
Ende 2016 entfielen in der Schweiz 2,2 Prozent der gesamten Stromerzeugung auf die Stromproduktion mit Sonnenenergie. Das ist deutlich weniger als in Deutschland, wo diese bei 6,9 Prozent liegt. Woher kommt diese Differenz? In erster Linie lässt sie sich durch die lange Warteliste für kostendeckende Einspeisevergütungen erklären. «Um die Produktion von Solarstrom zu steigern, müssen auch neue lokale Organisationsmodelle gefunden werden», erklärt Christian Schaffner, Direktor des Energy Science Center der ETH Zürich. «Die Zukunft gehört den Bürgerinnen und Bürgern, die sich zusammenschliessen und Energiegenossenschaften bilden. Der Schweizer Strommarkt ist stark reguliert, daher ist es nicht möglich, all die Innovationen einzuführen, die andernorts funktionieren.»
Die Vorteile von Energiegenossenschaften
Trotz der beschriebenen Schwierigkeiten kommen die Dinge in Bewegung: Seit 2000 wurden 96 Energiegenossenschaften gegründet. Es handelt sich dabei um juristische Personen, die eine dezentralisierte und unabhängige Energieerzeugung fördern. «Im Vergleich verfügen wir über dieselbe Anzahl an Genossenschaften pro Person wie Deutschland», erläutert Benjamin Schmid, Doktorand an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Er beschäftigt sich in seinen Studien in erster Linie mit dem Thema Energiegenossenschaften in der Schweiz. «Diese sind im Durchschnitt jedoch kleiner als in Deutschland.» Diese Genossenschaften erzeugen rund 14 GWh pro Jahr. Gemäss einer Studie, die 2015 von der WLS durchgeführt wurde, entspricht dies 1,3 Prozent der landesweiten Stromerzeugung durch Solarenergie.
Für die Erzeugung erneuerbarer Energien im Rahmen gemeinschaftlicher Projekte gibt es zahlreiche juristische Modelle. Diese reichen von einer einfachen Vereinbarung bis zur Gründung einer Aktiengesellschaft. Die Genossenschaft scheint aufgrund einiger wesentlicher Vorteile jedoch die meistverbreitete Form zu sein: Zum einen arbeitet die Genossenschaft demokratisch, d. h. jedes Mitglied verfügt über ein Stimmrecht in der Generalversammlung, und zwar unabhängig von der Höhe seiner Beteiligung. Zudem steht bei einer Genossenschaft vielmehr der Dienstleistungsgedanke im Vordergrund als die Rentabilität.
Wie organisieren sich diese Genossenschaften? Einige verfügen über eigene Photovoltaik-Anlagen und speisen den erzeugten Strom in das öffentliche Netz ein. Andere wiederum pachten Dachflächen, auf denen sie Photovoltaik-Anlagen installieren, um die Bewohnerinnen und Bewohner mit Solarstrom zu versorgen. «In der Schweiz gibt es sozusagen genauso viele Organisationsmodelle wie Genossenschaften», schätzt Benjamin Schmid. «In der Regel richtet sich die Form des Zusammenschlusses dabei nach den örtlichen Begebenheiten.» Die Untersuchungen haben gezeigt, dass in 50 Prozent der Fälle die kommunalen Behörden beteiligt waren, wenn eine solche Genossenschaft gegründet wurde. In einigen Fällen verhandeln diese dann mit den örtlichen Energieversorgern über die technischen Modalitäten für die Wiedereinspeisung sowie über die entsprechende Einspeisevergütung.
Top-down-Logik und politische Unsicherheiten
«In der Schweiz gibt es rund 800 Energieversorger», stellt Christian Schaffner fest. «Das Problem ist, dass die Genossenschaften von diesen abhängen, um aktiv werden zu können. Und einige spielen das Spiel mit, andere nicht. Aktuell haben wir ein System, das nach einer Top-down-Logik funktioniert.» Für den Wissenschaftler ist dies eines der zahlreichen Themen, die es auf politischer Ebene in den nächsten Jahren zu diskutieren gilt. Hierzu gehört seiner Ansicht nach auch das Internet der Dinge: «Die Zukunft liegt in der Vernetzung all dieser unterschiedlichen Systeme, um ein intelligentes Management des Netzes und der Beziehung zwischen den betreffenden Partnern zu ermöglichen. In der Schweiz gibt es in diesem Bereich jedoch noch viele offene Fragen und daher bisher noch wenig Projekte. Wer kontrolliert die Daten? Wer soll mit welchen Befugnissen ausgestattet werden?»
Auch wenn noch nicht sicher ist, welche Antworten die Politik auf diese Fragen finden wird, belegen zahlreiche Studien bereits jetzt, dass das Gemeinschaftsmodell sich gut eignet, um die Ziele der Energiewende zu erreichen: Die Bürgerinnen und Bürger, die sich an der Energieerzeugung beteiligen, senken ihren Verbrauch und stellen sich lokalen Projekten im Bereich erneuerbarer Energien seltener entgegen. In vielen Fällen bezahlen sie weniger für ihren Strom, auch wenn dies von Modell zu Modell variiert. «Wir haben zwei Formen der Motivation unter den Genossenschaftsmitgliedern beobachtet», berichtet Benjamin Schmid. «Da gibt es jene, die sich am Kampf gegen den Klimawandel beteiligen wollen und Kernenergie ablehnen. Und dann gibt es solche, für die die Integration in die lokale Gemeinschaft im Vordergrund steht.» Nach einer aktuellen Studie der Universität St. Gallen sprechen sich 92 Prozent der Schweizer dafür aus, lokal verfügbare Energieressourcen zu nutzen. Das bedeutet, dass die Mehrheit der Bevölkerung bereit ist, ihre Tomaten neben einem SolarPanel anzubauen.
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