Spannende Zeiten

Lastträger im Hintergrund: Warum das Schweizer Stromnetz vor einem grundlegenden Umbau steht.

Im Moment decken die neuen erneuerbaren Energien wie Wind-, Sonne- oder Biomasse gut fünf Prozent unseres Strombedarfs. Knapp 40 Prozent des Stroms stammen aus Kernkraftwerken. Sie sollen abgeschaltet und unter anderem durch photovoltaische Anlagen und Windkraftwerke ersetzt werden. 

Aber wir werden nicht nur den Atomstrom substituieren müssen, sondern auch noch Millionen Tonnen Brenn­- und Treibstoffe. Doch die Wärmepumpen, die künftig unsere Wohnungen warm halten, brauchen genau­so Strom wie unsere elektrisch betriebenen Fahrzeuge. 

Zu tragen hat all diese Lasten ein über Jahr­zehnte gewachsenes Stromnetz. Es ist zurzeit rund 250 000 Kilometer lang und umfasst sieben sogenannte Netzebenen: vom Höchst­spannungsnetz, das mit bis zu 380 000 Volt betrieben wird, bis zu den lokalen Ortsverteil­netzen, an denen die 230­-Volt-­Buchsen hängen. 

Die Schleusenwärter des Stromnetzes sind die Transformatoren. Sie verändern das Span­nungsniveau des elektrischen Stroms, bilden die technische Schnittstelle zu den Kraftwer­ken, vermitteln zwischen den verschiedenen Netzebenen und nehmen bei der Umsetzung der Energiewende eine Schlüsselstellung ein. 



AUF EINEN CHAT

In einem Microgrid, das Energieerzeuger und -verbraucher lokal vernetzt, geht es zu wie in einer guten Nachbarschaft: Man nimmt Rücksicht aufeinander und stimmt sich ab. Solaranlagen, Wärmepumpen, Heizungen, E-Fahrzeuge, Speicher und Waschmaschinen stehen in ständigem Kontakt und tauschen Daten aus, um Energie optimal zu nutzen.


Forschungsprojekte:
Verbundprojekt «‹SwiSS› Halbleiterbasierter SiC-Trafo» (NFP 70)
Verbundprojekt «Software-basierte Netzsteuerung in Echtzeit» (NFP 70)

Wenn Strom «aufwärts» fliesst 

Bisher ist der Strom von den Grosskraftwerken wasserfallartig in die Verteilnetze geflossen. Mit der Inbetriebnahme von Tausenden dezentralen Solar­-, Wind-­ oder Biomassekraftwerken wird es immer häufiger vorkommen, dass der Strom aus den Verteilnetzen auf die höheren Spannungsebenen klettern muss. 

«Wenn wir diesen ‹Gegenverkehr› steuern wollen, brauchen wir neue, intelligente Transformatoren», erklärt Nicola Schulz, Experte für elektrische Energietechnik an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Windisch. Zusammen mit seinem Team entwickelt er deshalb einen Trafo mit Schaltelementen aus Siliziumkarbid, der in der Lage ist, elektrische Ströme zu «zerhacken» und in nahezu beliebiger Form wieder zusammenzusetzen. 

Mit diesem neuen Swiss Transformer wäre es ausserdem möglich, lokal erzeugten Strom schon auf der untersten Netz­ebene in Gleichstrom zu wandeln. Und weil Gleichstrom die Ladezeiten von Batterien verkürzt, würden die Stromtankstellen nicht nur kundenfreundlicher, sondern könnten auch mit vor Ort produzierter Sonnen-­ und Windenergie geladen werden. 

 

Aus der Region – für die Region 

Solche Formen der lokalen Selbstversorgung entlasten die Hoch­- und Höchstspannungsleitungen von unnötigem Mehrverkehr. Sie sind hoch willkommen und weisen den Weg zu dem, was in der Fachsprache Microgrid heisst. Die Rede ist von Produktions-­ und Verbrauchsgemeinschaften auf Quartierebene. Experten sind überzeugt: Microgrids sind die zentralen Bausteine der Stromversorgung von morgen. 

Auf dem Weg dahin gilt es jedoch noch eine Reihe von technischen Problemen zu lösen. Kopfzerbrechen bereitet vor allem die Netzstabilität. Denn je weniger Parteien in einem Netz interagieren, desto leichter gerät es durch die Aktivitäten Einzelner aus dem Gleichgewicht. In einem Stromnetz führt dies zu Schwankungen der Stromfrequenz, die ohne Gegenmassnahmen Blackouts zur Folge haben. 

Microgrids müssen deshalb über zentrale Steuerungen verfügen. Sie sammeln die Betriebsdaten von Haushaltsgeräten, Maschinen, PV­-Anlagen und Speichermodulen und errechnen daraus in Echtzeit Sollwerte für die Auf­ oder Abnahme von elektrischer Energie. 

 

Der Faktor Mensch 

Wie das in der Praxis funktionieren könnte, wird unter ande­rem an der ETH Lausanne erforscht. Dort befassen sich unter der Leitung von Jean­-Yves Le Boudec gleich mehrere Teams mit der Steuerung von Microgrids. Eines von ihnen bezieht auch den Faktor Mensch mit ein. Es geht um die Frage, was der Konsument zur Stabilität lokaler Selbstversorgungsnetze beitragen kann; denkbar wären zum Beispiel Anreizsysteme für die private Stromproduktion. 

Solche Visionen machen es deutlich: Microgrids würden sich auch auf unseren Alltag auswirken. Frank Kalvelage vom Energie­Cluster Schweiz, einem Verein zur Förderung der Energiewende, der von Hochschulen, Unternehmen und Gemeinden getragen wird, geht sogar noch einen Schritt weiter: «Aus Sicht des Verbrauchers würde sich alles ändern.» 

Als Mieter würden wir künftig mit unseren Nachbarn Kollek­tive bilden und auf dem Dach des gemeinsam genutzten Hauses photovoltaische Anlagen für den Eigengebrauch ins­tallieren. Wir würden elektrische Energie herstellen, speichern, verkaufen und einkaufen. 

Noch funktioniert es, unser gutes altes Stromnetz. Doch der Umbau wird kommen. Wir haben es beschlossen. Das neue Energiegesetz – die erste Etappe der Energiestrategie 2050 – wurde im Frühling 2017 von einer deutlichen Mehrheit der Bürger angenommen.


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