«Und es hat ‹zschsch› gemacht»

Kathrin, wie sind Sie auf die Ausbildung zur Netzelektrikerin gekommen?

Auf Umwegen ... Netzelektrikerin wird einem ja nicht als Erstes von der Berufsberatung empfohlen. Da kommt oft erst das KV, dann vielleicht ein Pflegeberuf – und Netzelektriker erst sehr weit hinten. Viele wissen wahrscheinlich gar nicht, dass es diesen Beruf überhaupt gibt. Ich habe erst als Geomatikerin gearbeitet und schon da Leitungen vermessen. Das hat mir viel Spass gemacht. Nachdem ich auch in Deutschland und Hol­land gearbeitet hatte, hat mir ein Kollege, der Chefmonteur bei einem Elektrizitätswerk ist, gesagt, Netzelektrikerin könnte etwas für mich sein. Ich durfte bei ihm in der Abteilung ein bisschen schnuppern. 

Wenn man so wenig über Ihren Beruf weiss, wie sieht es mit dem Nachwuchs an Lernenden aus?

Seit Kurzem hat es angezogen. Mein Jahrgang ist der grösste, den das Schulungszentrum in Kallnach, wo alle überbetrieblichen Kurse stattfinden, je hatte. Vorher waren es etwa 20 Auszubildende pro Jahrgang. Jetzt hat man an verschiedenen Berufsmessen Werbung für die Ausbildung gemacht. So haben viele gemerkt, dass das ein spannender Beruf ist. 

Auch für Frauen?

Das hat sich noch nicht so rumgesprochen. In meiner Klasse sind wir drei Frauen von knapp 40 Lernenden. Das ist viel. Im Jahrgang über mir war nur eine Frau, davor in mehreren Jahren keine einzige. Im Schulungszentrum sind sie mit uns drei Frauen auch an den Anschlag gekommen. Sie mussten ganz schnell ein Behinderten­-WC in eine Dusche für uns um­bauen. Aber ich gehe trotzdem bei den Männern (lacht), weil es abschliessbare Kabinen hat. Damit hat eigentlich niemand ein Problem. 

Sie sagen, dass vor allem wegen der Werbung mehr junge Leute Netzelektriker werden möchten. Gibt es noch andere Gründe?

Natürlich hat es auch einen Einfluss, dass man in letzter Zeit im Zusammenhang mit der Energiewende viel über Strom, Netze, Elektroautos diskutiert hat. Deshalb ist es den Leuten wahr­scheinlich etwas präsenter, was wir machen. Aber die meisten glauben immer noch, dass der Strom einfach aus der Steckdose kommt. Dass man diesen irgendwo in grossen Mengen pro­duzieren und transportieren muss, ist vielen gar nicht bewusst.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?

Wir treffen uns morgens hier am Stützpunkt zur Teambespre­chung und Arbeitsverteilung. Das ist eigentlich der wichtigste Teil, denn alle Aufträge müssen klar sein. Dann wird das Material zurechtgemacht und wir rücken auf die Baustelle aus. Dort machen wir entweder Kabelarbeiten und Unterhalt oder beheben Störungen. In der Regel kennt man das grobe Wochenprogramm, ausser natürlich Störungen, die kommen kurzfristig.

Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten Spass?

Vor allem die Abwechslung – mal wird ein Kabel im Boden verlegt oder wir bauen eine Trafostation um oder wir sind draus­sen auf der Freileitung oder planen ein Projekt und bereiten es vor. Mal ist man eine Woche auf derselben Baustelle, dann wieder jeden Tag an einem anderen Ort.

Was ist das für ein Gefühl, auf Strommasten zu steigen und mit Hochspannung umzugehen?

Am Anfang war es schon ein komisches Gefühl – weniger der Strom, sondern die Höhe. Ab 10 Metern musste ich erst einmal durchschnaufen. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Manchmal stellt jemand in der Schnupperlehre fest, dass das nichts für ihn ist. Wenn man Angst vor der Höhe hat, ist das nicht der richtige Beruf.

 

Und was geht einem durch den Kopf, wenn man mit so viel Strom hantiert?

Wir kümmern uns um Niederspannung, also 400 Volt, für die Gebäude, Mittelspannung mit 16 000 Volt für die regionale Versorgung und in Störungsfällen auch um Hochspannung mit 50 000 Volt. Man denkt nicht daran, dass das sehr viel Strom ist. In der Regel dürfen wir Lernenden sowieso nicht unter Spannung arbeiten. Wir führen nur einfache Arbeiten wie Mes­sungen oder Sicherungen wechseln unter Spannung aus. Gelegentlich wird mir bewusst, dass ich nur einen halben Meter von 16 000 Volt entfernt bin. Ich denke mir dann, man muss Respekt haben, aber keine Angst, sonst ist man blockiert. 

Ist das eine Art Karriere: je mehr Spannung, desto toller?

Nein, das nicht. Nicht jeder, der Netzelektriker lernt, möchte später mit Höchstspannung arbeiten. Nur eine meiner Kol­leginnen möchte unbedingt in den Grossleitungsbau. Sie ist aber eine Ausnahme.

Haben Sie auch schon kritische Situationen erlebt?

Nicht mit Strom. Aber bei der Demontage einer Freileitung ist ein Mast zwischen die Leute gestürzt. Zum Glück wurde niemand verletzt. Aber so etwas kann auf jeder anderen Baustelle auch passieren. Dort können kleine Fehler eine grosse Wirkung haben.

In welcher Höhe arbeiten Sie, wenn Sie Freileitungen reparieren?

Die kleinen Masten sind 10 Meter hoch – das sind die herzigen, die hohen 16 Meter. Aber die Höhe nimmt man beim Arbeiten nicht wahr. Nur beim Hochsteigen merkt man es, weil man in kurzer Zeit viel Höhe gewinnt.

Gibt es einen Wettbewerb, wer am schnellsten auf einen Mast steigen kann?

In den Kursen ist ein bisschen Rivalität zwischen den Firmen. Aber im Job unter Kollegen machen wir das nicht. Ausser bei einer Ausschaltung, wenn wegen einer Reparatur der Strom unterbrochen werden muss. Dann schaut man natürlich, dass man so schnell wie möglich fertig wird, und nimmt nicht den, der am langsamsten ist. Da merkt man schon eine andere Gruppendynamik: Alles wird schneller und jeder Handgriff muss sitzen. 

Woran denken Sie beim Wort «Vernetzung»?

Natürlich vor allem an Strom und Stromleitungen. Eben an alles, was es braucht, damit das Netz funktioniert und die Leute mit Strom versorgt werden. Es ist einfach ein tolles Gefühl, wenn man eine Anlage installiert mit Trafo, Schaltanlage und Niederspannungsverteiler, den Schalter umlegt – und es macht «zschsch».

Hat sich Ihre Einstellung zu Ihrem Beruf durch die Energiewende geändert?

Ganz sicher. Für uns intern war die Stilllegung des Kernkraft­werks Mühleberg natürlich ein Riesenthema. Aber ich mache mir keine Sorgen, dass es meinen Beruf in Zukunft nicht mehr braucht. Im Gegenteil: Die Anforderungen an die Netze steigen und es wird immer anspruchsvoller zu verstehen, wie das Netz aufgebaut ist und funktioniert. Im Moment wird sogar diskutiert, ob die Lehrzeit auf vier Jahre verlängert werden soll, weil man immer mehr wissen und können muss.

Sie kümmern sich vor allem 
um Elektrizitätsnetze. Kommen Sie auch mit Telekommunikationsnetzen in Berührung?

Das Zusammenspiel von Strom-­ und Datennetzen ist ein grosses Thema, vor allem für Lichtwellenleiter, weil die Lichtdaten in elektrische Signale umgewandelt werden müssen. Diese elek­trischen Signale brauchen Strom. Je mehr Glasfaser verbaut wird, desto mehr müssen wir deren Stromversorgung sicherstellen.

Befassen Sie sich auch mit Smart Grids, also intelligenten Netzen?

Wir verbauen bereits neue intelligente Steuerungselemente, aber da sind wir noch am Anfang.

Wie wird Ihr Beruf in Zukunft aussehen?

Schon heute arbeiten wir mehr mit mobilen Geräten und Apps. Und in Mühleberg ist eine Zentrale, von wo aus vieles am Netz überwacht und gesteuert werden kann. Zum Beispiel kann man Freileitungsschalter mit Motoren steuern, sodass wir nicht extra ausrücken und vor Ort schalten müssen. Auch werden Drohnen getestet, die künftig die Freileitungen abfliegen und deren Zustand überwachen sollen.

Und eine letzte Frage: Würden Sie diesen Beruf wieder wählen?

Ja, unbedingt. Nach dem ersten Lehrjahr habe ich gezweifelt, ob ich da etwas Schlaues gemacht habe. Mein Partner ist selbst Stromer, also Elektroinstallateur, und er hat mir vor Kurzem gesagt, er hätte am Anfang meiner Lehre geglaubt, dass ich nur ein Jahr durchhalte. Er hatte mir das aber damals nicht gesagt, weil ich dann sicher wütend geworden wäre. Aber jetzt ist er sehr stolz, dass ich es durchziehe und dass es mir Freude macht.


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